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Rezeptlos

von

Manfred Beseler

 

Gerade aufgewacht. Es ist halb elf, Sonntag. Nach einer Feier, die bis halb Fünf ging. Hab eben den Wasserwerken meine letzten drei Bier überantwortet und mir die Hälfte der Menge in Form von frischem Leitungswasser erstatten lassen.

Jetzt stehe ich vor dem geöffneten Kühlschrank. Er ist so gut wie leer. Die Feier gestern war zwar gut, aber zu Essen gab es nichts. Mein Kühlschrank bietet wenig mehr. Zwei Eier, eine Portionspackung Kondensmilch und eine ungeöffnete Tube extrascharfer Senf. Die Tube hatte Claudia vor drei Jahren bei mir gelassen. Ich gehe in die Vorratskammer. Außer riesigen Haufen Altpapier und einem Glas Sauerkirschen finde ich auch hier nichts. Doch! Eine halbe Packung Mehl.

Was mache ich aus all dem? Ich hab Hunger, verdammt, und kratze mir das stoppelige Kinn. Das verursacht ein derart trockenes Geräusch, dass ich sofort noch ein Glas Wasser trinken muss.

Michael! Der weiß immer, was man aus Kühlschrankrestbeständen kochen kann. – Anrufbeantworter. Er hat doch neulich von einer Rezeptedatenbank im Internet erzählt. Da gibt man ein, was man an Rohstoffen hat und bekommt ein Drei-Sterne-Rezept als Antwort.

Also: Rechner an. Den Link hat er mir letzte Woche geschickt... „Rezeptlos.de“ Ja, das bin ich. Sofort ploppt im Browser eine Seite auf mit einem großen Eingabefeld.

Darüber ist zu lesen:

„Du bist rezeptlos? Sag’ uns, was du außer Hunger hast. Und dann Klick auf Rezept! Los!“

Ich gebe in das freie Feld ein: „Wasser, Mehl, Sauerkirschen, Eier, Senf“, Rücke die Maus bis auf „Los!“ vor und klicke.

Nach zwei Sekunden kommt eine neue Maske:

„Du hast Wasser, Mehl, Sauerkirschen, Eier, Senf. Hast du vielleicht noch mehr? Kreuze bitte von folgenden Dingen an, was du hast:

- Petersilie
- Frischhefe
- Kardamom
- Erdbeermarmelade
- Nougateier
- Salz
- 1 Dose Eierravioli“

Bei der Liste vergeht mir der Appetit und ich mache mir den Spaß, auf Nougateier, Erdbeermarmelade und Eierravioli zu klicken. Als nächstes werde ich gefragt, ob ich warm oder kalt essen möchte. Ich schaue auf die Uhr und klicke auf „warm“.

Nach 10 Sekunden lese ich Folgendes auf dem Bildschirm:

„Herzlichen Glückwunsch, Du kannst in nur einer Stunde folgendes Menü erstellen:

Vorspeise:
Nougatei in Senf-Erdbeermarinade auf Münsterländer Art

Hauptgericht:
Eierravioli in Westfälischem Blechnapf

Nachspeise:
Nougatei, versteckt hinter Osnabrücker Sauerkirschen“

Darunter steht noch: „Klick auf die Titel der Gänge, um zu den Rezepten zu kommen.“

Appetit habe ich noch nicht wieder. Ich klicke auf „zurück“ und wähle „kalt“. Das Menü, zu dem ich jetzt beglückwünscht werde, lautet:

Vorspeise:
Polar-Nougatei mit Erdbeermus gefüllt

Hauptgericht:
Arktische Eierravioli auf Eischnee

Nachspeise:
Polarnacht-Nougatei, versteckt hinter Osnabrücker Sauerkirschen.“

Ich klicke auf „Home“ und gelange wieder zum Anfang. Die Sauerkirschen scheinen das Programm durcheinander gebracht zu haben.

Ich mag auch keine, deshalb stehen sie ja seit Jahren in der Speisekammer. Also gebe ich nur ein: „Eier, Kondensmilch“ und klicke auf „Los!“

Und wieder eine Liste von zusätzlichen Dingen.

- Sauerkraut
- Butter
- Pfirsichhaut
- Vanilleeis
- Saure Drops
- Chilipfeffer
- 1 Dose Eierravioli

Ich wähle diesmal nichts aus. Die Antwort klingt unfreundlicher: „Leider konnte aus den angegebenen Zutaten kein Menü erstellt werden. Mach Rührei und unseren Server frei!“

Das Wort „Rührei“ ist blau und unterstrichen. Ich klicke darauf und schon poppt ein kleines Zusatzfenster auf: „Wenn du jetzt für lächerliche 3,80 Euro das Rezept für „Rührei“ bestellen willst, dann klick auf „Los!“

Ich ziehe den Stecker vom PC, nehme meine Jacke und gehe zum Café am Markt. Belegte Brötchen gibt’s da immer.

2007

Manfred Beseler