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Zimt oder die Kunst ein Franzbrötchen zu essen

von

Manfred Beseler

 

Ein Franzbrötchen zu essen ist immer der Versuch, der Göttlichkeit dieses Backwerks gerecht zu werden und dabei durch eine tiefe Meditation zur eigenen inneren Mitte zu gelangen. Dies kann bei geübten Franzbrötchen-Essern spontan gelingen.

Für Alle gilt jedoch das oberste Franzbrötchen-Gebot: Der Verzehr des Franzbrötchens soll ein Genuss sein!

Beim Versuch, den absoluten Genuss zu erreichen, kann man allerdings einiges falsch machen. Die im Folgenden beschriebene Franzbrötchen-Zeremonie hilft, Fehler zu vermeiden.

Die Zeremonie beruht auf einer langen Tradition. Sie hat ihre Ursprünge in einem der Zimt-Anbauländern, wahrscheinlich Ceylon. In den ursprünglichen Zimt-Zeremonien wurden besondere Kräfte des Zimts zur Wirkung gebracht. Die Franzbrötchen-Zeremonie greift einige Elemente der Zimt-Zeremonie auf und passt sie den heutigen hanseatischen Gegebenheiten an.

Für das gute Gelingen einer Franzbrötchen-Zeremonie sind Anzahl und Auswahl der Teilnehmer, eine sorgfältige Vorbereitung sowie ein geübter Zeremonienleiter wichtig.

Die alleine durchgeführte Zeremonie bietet bereits gute Voraussetzungen für einen Genuss-Erfolg. Bei passender Zusammenstellung von drei bis fünf Personen ist es darüber hinaus sogar möglich, durch einander ergänzende Gedanken und Genussausdrücke die Wirkung der Zeremonie um Einiges zu steigern.

Die meisten Franzbrötchen-Zeremonien finden in häuslicher Umgebung statt. In diesen Fällen ist immer der Hausherr oder die Hausherrin Leiter der Zeremonie. Bei Zeremonien auf neutralem Terrain einigen sich die Teilnehmer auf einen Leiter, bevor sie mit der Zeremonie beginnen.

Folgende zur Zeremonie benötigten Gegenstände sollten vorhanden sein und auf dem Tisch angeordnet werden:

- Je Teilnehmer ein Franzbrötchen – gebacken am Tag der Zeremonie und noch verpackt. Beim Kauf der Franzbrötchen sollte auf die genaue Anzahl der Teilnehmer geachtet werden. Im Notfall kann allerdings vor der Zeremonie die Anzahl der Franzbrötchen in der Verpackung angepasst werden.

- Je Person eine Tasse heißer Tee. Schwarzer oder grüner Tee ohne Zucker vermehrt den Geschmack des Franzbrötchens. Kaffee hingegen versperrt den Weg zur inneren Mitte und Kakao verfügt über zu viel eigene Süße, lenkt also vom Genuss des Franzbrötchens ab.

- Ein hölzernes Frühstücksbrett. Plastik sollte sich niemals in der Nähe eines Franzbrötchens befinden. Die polymere Struktur beeinträchtigt seine Windungen.

- Ein Stück Butter. Die Konsistenz der Butter sollte deutlich streichfest, jedoch nicht zu hart sein. Sie kann in einem Keramik-Behälter oder auf einem Porzellan-Teller (ebenfalls kein Plastik verwenden!) bereitgestellt werden. Ihre Menge sollte mit mindestens fünfzig Gramm mehr bemessen sein als für die Anzahl der Franzbrötchen ausreicht.

- Ein Buttermesser. Dieses sollte ebenfalls nicht aus Plastik gefertigt sein, auch nicht der Griff. Es darf nicht zu scharf sein, um beim Bestreichen des Franzbrötchens seine Oberfläche nicht zu zerstören.

- Eine brennende Kerze kann die Atmosphäre positiv beeinflussen, ist aber nicht nötig. Auf keinen Fall sollte mehr als eine Kerze auf dem Tisch stehen.

Andere zierende oder anders überflüssige Gegenstände (Servietten, Tischdecke, Blumen) sollten von der Franzbrötchen-Zeremonie fern gehalten werden.

Die Zeremonie verläuft in sieben Schritten:

Schritt 1: Die Personen setzen sich in gleichen Abständen zueinander um einen Tisch.

Schritt 2: Wenn alle Teilnehmer sitzen, nimmt der Leiter der Zeremonie die Franzbrötchen vorsichtig aus ihrer Ummantelung und legt sie in der Mitte des Tisches aus. Bei guten, nicht zu klebrig geratenen Franzbrötchen gelingt das Entfernen der Tüte, ohne dass diese zerreißt. Die Tüte hat ausgedient und kann sofort entsorgt werden. Sie sollte auf jeden Fall nicht mehr auf dem Tisch liegen.

Schritt 3: Der Leiter der Zeremonie beginnt damit, sich ein Franzbrötchen aus der Mitte zu nehmen und es mit Butter zu bestreichen.

Jedes gut gebackene Franzbrötchen hat eine langweilig glatte und eine schmucke, aber sehr unebene Seite. Die Butter wird auf die glatte Seite gestrichen. Damit wird das, was beim Backen und in der Auslage die Unterseite ist, scheinbar zur Oberseite gewandelt. Nur hier lässt sich ja eine gleichmäßige Schicht Butter auftragen. Ungleichmäßig verteilte Butter würde den Geschmack des Franzbrötchens nur unzureichend unterstützen.

Jeder Franzbrötchen-Liebhaber wird sich irgendwann fragen, ob es beim Franzbrötchen denn ein ‚richtiges Oben‘ und ein ‚richtiges Unten‘ gibt. Für die Antwort lohnt ein Blick in die Geschichte der Franzbrötchen-Zeremonie: Nach alter Tradition wird das Franzbrötchen bei der Zeremonie mit der Butter nach unten gehalten, um beim Anblick der Schnecken auf der Oberseite die eigenen Gedanken gezielt ins Kreisen bringen zu können. Diese Tradition ist im Laufe der Zeit verloren gegangen und so wurde die gebutterte Unterseite zur ‚falschen‘ Oberseite. Der absolute Genuss des Franzbrötchens ist mit beiden Oberseiten uneingeschränkt möglich.

Das Franzbrötchen wird in der linken Hand gehalten und sorgsam von Rechts nach Links mit Butter bestrichen. Anschließend werden das Messer und das Frühstücksbrett dem Teilnehmer zur Linken weitergereicht.

Dies wird wiederholt, bis jeder Teilnehmer sein Franzbrötchen mit Butter bestrichen hat.

Schritt 4: Der Letzte in der Reihe nimmt dann das Messer und sticht es senkrecht in die verbliebene Butter. Dies ist ein heikler Moment für den Leiter der Zeremonie. Das Messer muss senkrecht in der Butter stehen bleiben. Ist die Butter zu weich und das Messer kippt zur Seite, sollte der Leiter die Zeremonie abbrechen.

Bleibt das Messer stehen, folgt mit dem Essen der Hauptteil der Zeremonie.

Schritt 5: Beim Essen taucht zunächst die Frage auf: Wie ist das Franzbrötchen in der Hand zu halten, wenn man davon abbeißt? Hierüber wird unter Franzbrötchen-Liebhabern gerne gestritten.

Das Franzbrötchen wird dem nicht schmecken, der es zum Abbeißen in beide Hände nimmt oder sich mundgerechte Happen mit dem Messer zuschneidet. Also: Eine Hand! Und zwar die linke – mit der Butter nach Oben oder Unten, je nach Traditionsbewusstsein. Oder auch nach dem Bedürfnis, beim Kreisenlassen der Gedanken Hilfe von den Schnecken zu erhalten.

Das Essen des Franzbrötchens erfolgt in mindestens neun nicht zu hastigen, mittelgroßen Bissen, wobei man sich, ganz wie man die Butter aufgetragen hat, von Rechts nach Links durchbeißt. Nach jeweils drei Bissen, die man, genussreich gekaut, ganz hinunter geschluckt hat, wird ein Schluck Tee genommen.

Bei der Zeremonie ist keine gesprochene oder gesungene Formel notwendig. Ein leises Murmeln oder Brummen beim Kauen mit geschlossenem Mund kann den Genuss allerdings erhöhen. Bezüglich eines Gesprächs gilt für eine Zeremonie mit mehreren Personen folgendes:

Ein Gespräch während der Zeremonie ist nicht nur erlaubt, sondern kann für die Zwecke der Zeremonie sogar förderlich sein. Inhaltlich sollte die Güte der Franzbrötchen und des Tees im Vordergrund stehen. Andere angenehme Themen können die Zeremonie in ruhigem Fluss halten, während jeder auf dem Weg zu seiner inneren Mitte sein Franzbrötchen genießt.

Schritt 6: Ist das Franzbrötchen vollständig vertilgt, wird der Tee zu Ende genossen. Er hat sich mittlerweile auf die optimale Trinktemperatur abgekühlt.

Schritt 7: Der Leiter führt die Zeremonie zu ihrem Ende, in dem er dem Franzbrötchen und den Teilnehmern für die gemeinsamen Momente dankt. Während sich daraufhin die Teilnehmer von ihren Plätzen erheben, danken sie ihrerseits dem Leiter und dem Franzbrötchen.

Nach Abschluss der Zeremonie bleibt die Gesellschaft zumeist noch einige Zeit beisammen. Man tauscht sich über die Erlebnisse während der Zeremonie aus und oft wird über besonders gelungene frühere Zeremonien berichtet. Allmählich tauchen auch wieder alltägliche Themen und Gedanken auf, die man nun oft mit anderen Augen betrachtet.

Ist eine Zeremonie gelungen, fühlen sich alle Teilnehmer gekräftigt. Besonders in den Wintermonaten empfinden die meisten eine wohlige Wärme, die sich vom Inneren ihres Körpers her ausbreitet. Ein Grund hierfür ist der Tee, der sich zusammen mit dem Hefegebäck im Magen verteilt hat. Traditionalisten verweisen zudem auf die Herkunft der Franzbrötchen-Zeremonie und schreiben die Kräftigung und die Wärme dem Zimt zu. Welche Erklärung auch zutreffen mag: Nach einer gelungenen Franzbrötchen-Zeremonie kann man mit neuen Kräften in den Alltag zurückkehren.

2004

Manfred Beseler